Martin

STARS & STRIPES



Anmutig wehten die kunstvoll angeordneten Sterne an diesem Morgen im blauen Rechteck, nebst den rot-weißen Streifen. Der Sauerstoff, der durch die Stücke Stoff rauschte, nahm einen fast schon theatralischen Duft von Freiheit an, und jedes Mal, wenn der Wind durch die Straßen rauschte, meinte man, Teil von etwas Größerem zu sein, etwas, dass sich nur fühlen, empfinden lässt. Von unserem Fenster aus kann man die Fahnen über dem Eingang des Parlamentsgebäudes gut sehen. Der Bund und die Union thronten an diesem Tag fast schon majestätisch über die geschichtlich aussehenden, weil alten Wohngebäude gegenüber.

"Uff." Mit einem verschlafenen Seufzen startete er heute erstmals in den Tag, seine Hand die Bettdecke umklammernd und den Bezug zu einem Knäuel zusammenknüllend.
 "Good mornin'" er lächelte.
 "Morning, sleepy head." Mein Englisch klang wie immer plump. Ich versuche immer irgendwie, ihn in seiner eigenen Muttersprache zu übertrumpfen, obwohl es immer hohl und unauthentisch klingt - und zumeist auch gar nichts Besonderes ist. Das war schließlich nicht der Englischunterricht.
"How long've you been awake?"
"Almost three hours. Almost."
"Wait... you've only been sleeping for... jeez, two fuckin' hours?"
'Two and a half hours. So, at least a bit." 
"You're crazy" lächelte er, als er sich wieder in sein Kissen einrollte. 
"Hey, up with you, you can't sleep all day!" Eine halbscherzhafte Ermahnung wie im Buche. Im Grunde wollte ich ja, dass er weiter schläft, und sei es nur, um ihn sekkieren zu können. Ich hatte begonnen, sanft, halb grinsend loszusingen. "'Cause I got friends in low places, where the whisky drowns and the beer chases my bluuuueeees away".
"You know I hate this song. This utter piece of shit chased the blues outta me about 5 gazillion times a day in the States. "
Ich bin vielleicht der einzige Österreicher, der Garth Brooks kennt und gefühlte 100 seiner Alben im Schrank stehen hat - er vielleicht der einzige Amerikaner, der ihn nicht ausstehen kann. Beide mochten wir aber My Chemical Romance, so ziemlich das Einzige, wo sich unser Musikgeschmack überschnitt.

 Er hatte noch eine Stunde weitergeschlafen und ich hatte ihn gelassen. Es ist wunderschön, dieses Gefühl, neben dem noch schlafenden Partner aufzu- und über ihn zu wachen. Es gibt mir Geborgenheit, ihm Geborgenheit zu geben. Ich beobachtete inzwischen die Fahnen, die sich immer noch in anmutiger Manier prachtvoll über die Gegend schlängelten. Auch, wenn man sich nicht heimisch fühlt - noch nie heimisch gefühlt hat - so ist der Anblick einer wehende Flagge immer ein bewegender. Auf die ein oder andere Weise. Als er dann langsam und schwer ein weiteres Mal seine Augen öffnete, um den Tag zu begrüßen, liebten wir uns am sperrangelweitoffenen Fenster, während der Wind die Vorhänge über uns gleiten ließ. Beim Höhepunkt blickte ich auf und sah die sich räkelnden, zuckenden, wenngleich durch den Rausch verschwommenen Umrisse jener bedeutungsvoller Zugehörigkeitssymbole, die ich bereits davor bewunderte.

Wir hatten an diesem Tag viele Einkäufe zu erledigen. Artikel, die 50% unseres Paares fremd und dem Anderen Kindheit, Jugend und nostalgischer Rückblick waren. Geschäfte wurden auf allerhand Lebens- aber auch Genussmittel durchkämmt, -wühlt und –sucht, tagein tagaus. Aber dafür Hand in Hand, ohne dass uns die unterschiedliche Anzahl unserer Sterne und Streifen auffiel. 
Im Vorbeigehen sah ich, dass die auf langen Stöcken gebundenen Stoffstreifen schlaff und bedeutungslos herunterhingen, und zog daran vorbei. 

Egal, wo. Wir sind immer Tiere. Und werden nirgendwo etwas anderes sein.



Nun denn, als gebürtiger Österreicher ohne Migrationshintergrund, der auch nicht der Vorzeigepatriot ist (ein Heimatsgefühl habe ich an dem Ort, den ich zu meiner Heimat wähle, nicht zwangsläufig dort, wo ich geboren bin), lag mein Fokus weniger auf meiner Herkunft, als auf der Herkunft dessen, was mein Leben beeinflusst. Ich bin mit größtenteils US-amerikanischer Musik, größtenteils japanischen Serien und größtenteils chinesischem Spielzeug (zu besagten Serien) aufgewachsen - meine liebste Filmreihe als Kind war eine britische. Die Medien und Konsumgüter, die mein Leben damals wie heute beeinflussen, haben weitere Wege zurückgelegt als ich, daher widmete ich mein Projekt nur passiv mir - da Musik mich zu großen Teilen geformt hat.
Für das Bild sah ich mir meine Musiksammlung noch einmal an und entdeckte nebst der zu erwarteten Vielzahl an Genres, die von Pop über HipHop und Electronica bis Rock (besonders im Symphonic, Gothic oder Emo-Bereich) reicht, auch überraschend viele Ethnien unter den Interpreten meiner CDs (und das sind tausende...). 20 davon habe ich mir herausgesucht und in diesem Bild vereint. Zwar waren die USA und Deutschland am Prominentesten vertreten, und es handelt sich hier auch nicht um meine 20 Lieblingsmusiker (dazu fehlen noch Madonna, Prince, Tokio Hotel, Evanescence, Kollegah, Insane Clown Posse, Rammstein,...), aber um 20 Musiker, welche mir sehr gefallen und meinen Geschmack geprägt haben. Sie symbolisieren sowohl musikalische als auch ethnische Vielfalt, sind allerdings darin vereint, im CD-Schrank und auf Smartphone-Playlists eines 19-jährigen Österreichers zu stehen.

Die Geschichte zeigt nicht nur eine vielleicht kulturell bedingt andere Sichtweise auf dieselbe Musik, sondern schildert auch einen typischen Morgen aus der Sicht eines homosexuellen Paares unterschiedlicher Herkunft.


Martin

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